Liebe Qi Gong- und Taiji-Interessierte
Liebe Freunde der inneren Kultivierung
Gemäss dem chinesischen sogenannten Bauernkalender teilt sich das (Sonnen-)Jahr in vierundzwanzig Abschnitte zu jeweils 15 bzw. 16 Tagen. Als Herbstanfang (Liqiu) werden die Tage ab dem 7./8. August bezeichnet. Die weiteren Abschnitte des Herbstes sind Chushu (Ende der Hitze), Bailu (Weisser Tau), Qiufen (Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche), Hanlu (Kalter Tau) und schliesslich, Ende Oktober bis Anfang November, Shuangjiang (Fallender Reif). Wie man sieht, stellt das Äquinoktium für die Chinesen nicht den Anfang, sondern bereits den Höhepunkt des Herbstes dar. Entsprechendes gilt für Frühling, Sommer und Winter: Sie beginnen ebenfalls schon sechs Wochen vor der Tag-und-Nacht-Gleiche bzw. der Sonnwende, was in der Tat dem klimatischen Verlauf und den Vegetationsphasen besser gerecht wird.
Im System der fünf Wandlungsphasen (Wu Xing) geht dem eigentlichen Herbst noch der Spätsommer als fünfte Jahreszeit voraus; er entspricht in etwa dem Monat August und ist durch das Element Erde und die Farbe Gelb bestimmt, durch die Reifephase des Getreides und der Früchte. Im I Ging entspricht dem Erd-Element das Trigramm Kun (“das Empfangende”, Mutter Erde als die Nährerin des Lebens; dem Südwesten zugeordnet). Die fünf Wandlungsphasen prägen sowohl unseren Lebensweg – von der schwellenden Jugend (Holz) über die kraftvolle Entfaltung des Lebens im Erwachsenenalter (Feuer) zur Phase der Reife (Erde), des Loslassens (Metall) und der Rückkehr zum Ursprung (Wasser) – als auch den Jahreslauf, und sie laden uns ein, das jeweils Naturgegebene zu betrachten und uns entsprechend zu kultivieren. So geht es im Frühling darum, die Winterstarre zu lösen, unsere Glieder zu lockern und wieder in Schwung zu kommen, im Sommer, Licht und Wärme zu tanken und uns der puren Lebensfreude zu öffnen, im Herbst, unseren Organismus auf die dunkle und kalte Jahreszeit vorzubereiten, und im Winter darum, in Stille und Zurückgezogenheit unsere Kräfte zu wahren und zu erneuern. Der Spätsommer, die Jahreszeit des Erd-Elements, ist die Zeit der Fülle und darf in einem verständigen und vernünftigen Sinne – nichts im Übermass! – mit Schwelgen und Schlemmen zugebracht werden. Doch auch der Erntedank gehört dazu: nicht als blosses Ritual, sondern als bewusst gelebte Dankbarkeit für die Gaben von Mutter Erde!
Gemäss TCM sollte in dieser Übergangsjahreszeit naheliegenderweise dem Organ-Funktionskreis Milz – Magen, der auch die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) einschliesst, d.h. dem Verdauungssystem, besondere Aufmerksamkeit zukommen. So heisst es im Huangdi Nei Jing:
In der [Jahres-]Mitte finden wir Feuchtigkeit, die die Erde nährt und befeuchtet, so dass sie fruchtbares Land bilden kann. In der Zeit zwischen Sommer und Herbst, im Spätsommer, reifen die Früchte und werden gelb. Reife Früchte sind süss und können das Milz-Qi nähren, das dann seinerseits Muskeln und Fleisch nährt. (…) Pathologische Trübheitszustände weisen auf ein Ungleichgewicht in der Milz hin; Grübeln und Sorge treten auf. Übermässige Sorge erschöpft das Milz-Qi, aber Zorn kann die Sorge zügeln.
(Zitiert nach Maoshing Ni: Der Gelbe Kaiser. Das Grundlagenwerk der Traditionellen Chinesischen Medizin. Frankfurt a.M. 1998.)
Etwa mit dem Jahresabschnitt “Weisser Tau” ab 7./8. September könnte man den Beginn des eigentlichen Herbstes ansetzen. Er ist bestimmt durch das Element Metall und die Farbe Weiss, durch den Vorgang des Welkens, der zeigt, dass das Yang schwächer wird und die Yin-Kräfte erstarken. Im I Ging entsprechen dem Metall-Element die Trigramme Dui (“das Heitere”, der See; Yin-Aspekt, dem freundlichen Mittherbst und dem Westen zugeordnet) und Qian (“das Schöpferische”, der Himmel; Yang-Aspekt, dem strengen Spätherbst und dem Nordwesten zugeordnet). Gemäss TCM sollte in dieser Jahreszeit dem Organ-Funktionskreis Lunge – Dickdarm besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Im Huangdi Nei Jing heisst es:
In den drei Monaten des Herbstes kommen alle Dinge in der Natur zu voller Reife. Das Korn wird geerntet, die Energie des Himmels kühlt ab, so wie auch das Wasser. Der Wind beginnt sich zu regen. Das ist der Angelpunkt, an dem die Yang-Phase, die aktive Phase, ins Gegenteil, in die Yin-, die passive Phase, umschlägt. Ihr solltet Euch mit dem Sonnenuntergang zurückziehen und in der Morgendämmerung aufstehen. So wie das Wetter im Herbst unwirtlicher wird, so verändert sich auch das emotionale Klima. Deswegen ist es wichtig, Ruhe und Frieden zu bewahren und nicht in Depressionen zu verfallen, denn nur so kann der Übergang zum Winter reibungslos verlaufen. Es ist die Zeit, Geist und Energie zu sammeln, sich auf weniges zu konzentrieren und die Begierden im Zaum zu halten. Ihr müsst die Lungen-Energie in Fülle, rein und ruhig halten, das heisst Atemübungen durchführen, und Kummer, der Emotion der Lunge, aus dem Weg gehen, um das Lungen-Qi zu stärken.
(Ebda.)
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