Frühling –
Jahreszeit im Zeichen des Holz-Elements

Liebe Qi Gong- und Taiji-Interessierte
Liebe Freunde der inneren Kultivierung

Das chinesische Neujahrsfest fällt stets in den Zeitraum zwischen 21. Januar und 21. Februar nach westlichem Kalender, nämlich jeweils auf den zweiten Neumond nach der Wintersonnwende. Den Frühlingsanfang (Lichun) hingegen bestimmt ausschliesslich das Sonnenjahr: 4./5. Februar, Halbzeit zwischen Wintersonnwende und Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche. Die weiteren jeweils 15-tägigen Abschnitte des bis Anfang Mai dauernden Frühlings heissen Yushui (Regenwasser), Jingzhe (Erwachen der Insekten), Chunfen (Tag-und-Nacht-Gleiche), Qingming (Hell und klar) und Guyu (Saatregen).

Im System der fünf Wandlungsphasen (Wu Xing) ist der Frühling durch das Element Holz und die Farbe Grün bestimmt, durch die junge, frische, auch ungestüme Vitalkraft. Als vorherrschender klimatischer Faktor dieser Jahreszeit gilt der Wind, der auch eine potentielle Krankheitsursache darstellt. Im I Ging entsprechen dem Holz die Trigramme Zhen (“das Erregende”, der Donner; Yang-Aspekt) und Xun (“das Sanfte”, der Wind; Yin-Aspekt). Zhen ist dem Osten, dem Morgen, Xun dem Südosten, dem Vormittag zugeordnet.

Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) empfiehlt, in dieser Jahreszeit dem Organ-Funktionskreis Leber – Gallenblase, der dem Holz-Element zugeordnet wird, besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In den Wintermonaten haben wir uns weniger bewegt und sind seltener an der frischen Luft gewesen. Unsere Nahrung war ärmer an Vitaminen und Ballaststoffen; es überwogen Fette und Kohlehydrate, und wir haben, wenn wir an die zurückliegenden Feiertage denken, eher mal zuviel Alkohol getrunken. Die Tage waren kurz und trüb; unsere Augen wurden durch Bildschirmarbeit und Lesen bei künstlichem Licht strapaziert.

Nun ist es Zeit, unsere Lebensenergie wieder in Schwung zu bringen. Hierzu einige Vorschläge:

  • Die Aufgabe der Leber ist es, den Körper zu entschlacken und zu entgiften – darin können wir sie durch eine Kur mit den frischen, grünen Kräutern des jungen Frühlings, v.a. Bärlauch und Löwenzahn, sowie durch eine massvolle, ausgewogene, fett- und salzarme Ernährung mit viel frischem Obst und saisonalem Gemüse wie Grünkohl, Chicorée, Feldsalat, Spinat und Rhabarber unterstützen.

  • Die Leber sorgt gemäss TCM für den freien, ungehinderten Fluss des Qi im Netz der Energieleitbahnen und damit indirekt auch für eine gute Durchblutung unseres Körpers – deshalb vermeiden wir jetzt bewusst alles, was zu Verspannungen und Stockungen auf körperlicher wie auf psychischer Ebene führt: träges Herumsitzen, Miesepetrigkeit, Frust und Ärger (der die Leber ganz besonders schädigt!) ebenso wie Überanstrengung und Stress. Schon der altchinesische Medizinklassiker Huangdi Neijing rät:

Da der Frühling die Jahreszeit ist, in der die kosmische Energie von neuem einsetzt und sich verjüngt, versucht, diese Aufbruchstimmung nachzuempfinden, indem Ihr körperlich und gefühlsmässig offen und unbelastet seid. (…) Auf emotionaler Ebene ist es förderlich, Gleichmut zu entwickeln, denn der Frühling ist die Jahreszeit der Leber. Schwelgt Ihr in Zorn, Frustration, Depression, Traurigkeit oder in irgendeiner anderen Emotion, schädigt Ihr die Leber.
(Zitiert nach Maoshing Ni: Der Gelbe Kaiser. Das Grundlagenwerk der Traditionellen Chinesischen Medizin. Frankfurt a.M. 1998.)

  • Die Fliessfunktion der Leber unmittelbar anregen können wir durch tägliche Fingerdruckmassage des Akupunkturpunktes LE 3 Taichong (auf dem Fussrücken oberhalb des Zwischenraums zwischen Gross- und zweitem Zeh in der Furche zwischen den beiden Mittelfussknochen).

  • Die Leber “kontrolliert” Sehnen und Muskeln. Unser Beitrag: regelmässige Bewegung! Spazierengehen, Wandern, Jogging, Walking, Schwimmen, Tanzen, Yoga, Taiji Quan, Qi Gong… Hören wir nochmals das Huangdi Neijing:

Auf physischer Ebene ist es förderlich, den Körper zu ertüchtigen und locker sitzende Kleidung zu tragen. Es ist die Zeit für Dehnungsübungen, die Sehnen und Muskeln lockern. (Ebda.)  

  • Meinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern empfehle ich daher jetzt v.a. die vierundzwanzig daoistischen Gesundheitsübungen, die acht Brokatübungen (Ba Duan Jin) – und daraus speziell die Leber-Übung Die Fäuste ballen und mit den Augen funkeln – sowie die Leber-Übung aus dem Set Sechs heilende Laute.

  • Die Leber “öffnet sich” in den Augen; sie sind das dem Holz-Element zugeordnete Sinnesorgan. Öffnen wir wieder die Augen beim Spazierengehen im Frühlingswald und nehmen wir die junge Grünkraft bewusst auf! Die Sehkraft unterstützen können wir ausserdem mithilfe von yin- und blutstärkenden Heilpflanzen wie Baldrian (Valeriana officinalis), Bocksdornfrüchte (Lycium barbarum, Goji-Beeren), Borretsch (Borago officinalis), weisse Pfingstrose (Paeonia alba) und Wegwarte (Cichorium intybus), im Sommer dann zusätzlich mit allen einheimischen roten bis blauroten Beeren.

  • Spezielle Übungen für die Pflege der Augen werden hier auf der Seite ‘Downloads’ angeboten.

  • Typisch für Störungen der Holz-Energie bzw. des Leber-Funktionskreises sind Gereiztheit, Spannungszustände und Beschwerden wie Kopf- und Bauch-, namentlich auch Menstruationsschmerzen. Uns selbst behandeln können wir mittels Akupressur von Ex-HN 3 Yintang (mitten zwischen den Augenbrauen; bei Stirnkopfschmerzen), Ex-HN 5 Taiyang (in der Verlängerung der Augenbrauen an den seitlichen Rändern der Augenhöhlen; bei Migräne, Schläfen- bzw. seitlichen Kopfschmerzen), GB 20 Fengchi (an der Schädelbasis, je 2 Fingerbreit beidseits der Mittellinie; bei Migräne, Nacken- und Nackenkopfschmerzen), REN 12 Zhongwan (auf dem Oberbauch mitten zwischen Brustbeinspitze und Nabel; bei Magenbeschwerden und Bauchschmerzen aller Art), MI 6 Sanyinjiao (4 Fingerbreit oberhalb der inneren Fussknöchel an den Hinterkanten der Schienbeine; bei Bauchschmerzen, Verdauungs- und Menstruationsbeschwerden). Dazu in allen genannten Fällen LE 3 Taichong (Beschreibung s. weiter oben) und DI 4 Hegu (an beiden Händen inmitten der fleischigen Falte zwischen Daumen und Zeigefinger; bei Schmerzen jeglicher Art, v.a. im oberen Bereich des Körpers).

  • An Heilkräutern bieten sich an: Engelwurz (Angelica archangelica) bei Verdauungsbeschwerden, nervösen Bauchschmerzen und Koliken; Frauenmantel (Alchemilla vulgaris) bei Magen- und Unterleibskrämpfen, Menstruationsschmerzen und Zyklusanomalien; Kurkuma (Gelbwurz, Curcuma longa, Wurzel) bei Leber- und Gallenblasenerkrankungen, Fett- und Eiweissstoffwechselstörungen, Blähungen, Reizdarm, zur Förderung der Gallensekretion; Pestwurz (Petasites hybridus) bei Erkältungen, Fieber, Kopfschmerzen, Migräne, PMS, Angst- und Spannungszuständen; Pfefferminze (Mentha piperita) bei Kopfschmerzen mit Augenrötung, Fieberkopfschmerzen, Gastritis, Magenkrämpfen, PMS; Schafgarbe (Achillea millefolium) bei Gastritis, Bauchkrämpfen und Menstruationsschmerzen.